Interokultur

Künstliche Intelligenz in der Versicherungswirtschaft: Riesiges Potential für effizientere Versicherungen

14.02.2020

Künstliche Intelligenz in der Versicherungswirtschaft: Riesiges Potential für effizientere Versicherungen

Eines der Themenfelder, von dem sich Verantwortliche in Versicherungen und InsurTechs einen enormen Effizienzschub versprechen ist künstliche Intelligenz und speziell Machine Learning. Doch die Konzepte könnten im Big-Data-Kontext auch entscheidende Verbesserungen bringen.

Am Themenfeld der künstlichen Intelligenz kommt man kaum vorbei, wenn man über die Zukunftsthemen der Versicherungswirtschaft spricht. Doch vieles ist hier noch im Ideenstadium oder zumindest noch in der Erprobung. InsureNXT hat mit Dr. Andreas Becks, Head of Custumer Advisory Insurance beim Analytics-Software-Anbieter SAS über die Chancen und Risiken gesprochen und nachgefragt, für welche Anwendungsszenarien es bereits heute marktreife Lösungen gibt und welche Rolle in Zukunft Sensordaten spielen werden.

 

InsureNXT: In welchen Bereichen und Situationen können Versicherungen auf künstliche Intelligenz setzen? Wie profitieren Versicherungskonzerne davon?

Bei KI geht es nicht immer gleich um Highend-Anwendungen oder um Roboter, die spektakuläre Kunststücke vollbringen. Das Kerngeschäft von Versicherungen ist es, Risiken zu bewerten – und das wird bereits heute mit künstlicher Intelligenz gemacht. Im Prinzip geht es darum, wie mit maschinellem Lernen ein Mehrwert entstehen kann – und zwar über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg, von der Produktentwicklung übers Marketing bis hin zur Schadenabwicklung.

 

InsureNXT: Welches Einsparpotenzial ergibt sich für Versicherungen daraus?

Die Vorteile von KI auf Kosteneinsparung zu reduzieren, hieße Potenzial zu verschenken. Stattdessen geht es auch darum, Risiken vorherzusagen und Schäden aktiv zu verhindern oder auf Basis eines besseren Risiko- und Kundenverständnisses Angebote zu personalisieren, Preise dynamisch anzupassen und die Betreuung des Kunden im Schadensfall zu optimieren. Automatisierung und präzisere, schnellere Datenauswertung schaffen hier einen immensen Spielraum für Verbesserungen. So entstehen neue Geschäftsmodelle, die den veränderten Erwartungen von Versicherungsnehmern entgegenkommen. Denn gerade die Millennials wollen heute keine starre Versicherungspolice mehr, sie möchten vielmehr bestimmte Lebensabschnitte versichern. Zunehmend sehen sich Versicherer daher auch als Partner für integrierte Lösungen. Eine typische Auswirkung der veränderten Verbrauchererwartung ist auch die steigende Nachfrage nach „Pay-as-you …“-Tarifen.

 

InsureNXT: Sind KI-gestützte Anwendungen denn in Deutschland überhaupt schon in größerem Umfang serienreif?

Jenseits des Hype-Begriffs gibt es in Deutschland heute schon Machine Learning in vielen „unsichtbaren“ Szenarien. Anwendungen in der Versicherungsbranche fangen bei der Produktentwicklung an, wo es darum geht, Risiken besser zu verstehen und auf dieser Grundlage individuelle Angebote zu erstellen sowie Preise dynamisch anzupassen. Im Marketing hilft KI, eine bessere Customer Experience zu schaffen, die sämtliche Kommunikationskanäle integriert. Die Schadensbearbeitung schließlich profitiert von automatisierten Teilprozessen, mit denen Versicherer schnell Betrugswahrscheinlichkeiten einschätzen, die Schadenshöhe kalkulieren und nächste Schritte einleiten können. So kann man schnell Fälle beurteilen und beispielsweise den Fahrer eines verunfallten Wagens in die nächste Kfz-Werkstatt leiten, einen Abschleppwagen oder ein Taxi schicken.

 

InsureNXT: Eine wichtige Begrenzung ist die Datenlage – und Deutschland/die EU gelten als eher restriktiv in Sachen Datenschutz. Lassen sich sinnvolle Anwendungen mit der Begrenztheit der Daten überhaupt realisieren?

So begrenzt sind die Daten gar nicht. Versicherungen sammeln heute ganz neuartige Daten, die vorher nicht zur Verfügung standen. Dazu zählen nicht nur Telematikdaten, sondern auch beispielsweise Vitaldaten (zu Puls, Herzfrequenz, Bewegung, verbrauchter Energie), die ein Wearable sammelt. Zudem gibt es offen zugängliche Daten, und man kann Daten zukaufen. Natürlich muss im Sinne der DSGVO die Einwilligung des Versicherten eingeholt werden. Aber grundsätzlich sind Verbraucher ja durchaus bereit, ihre Daten zur Verfügung zu stellen, wenn sie dafür Vorteile – etwa einen besseren Tarif oder eine Mehrwertleistung wie Schadensvermeidung – bekommen.

 

InsureNXT: Können wir in den nächsten Jahren Risiken minimieren und durch bessere Datenlage effizienter versichern? Welche Rolle kann hier Big Data spielen?

Heute haben wir eine sehr große Menge an Sensordaten. Die gute Datenlage in Verbindung mit IoT-Geräten bringt neue Erkenntnisse, die eine präzisere Einschätzung von Risiken ermöglicht – und damit eine gerechtere Tarifierung. Weist ein Versicherungsnehmer mittels freiwilliger Übertragung von Vitaldaten eine gesunde Lebensweise nach, kann ihm die Krankenversicherung entsprechende Boni gewähren. Die Auswertung von IoT-Daten findet vermehrt schon in der Landwirtschaft statt und kann unter anderem herangezogen werden, um Ernteausfälle sehr viel zuverlässiger vorherzusagen – und dann auch zu versichern.

 

InsureNXT: Einige Start-ups brüsten sich damit, innerhalb von Sekundenbruchteilen Schadensfälle abwickeln zu können. Wie zuverlässig funktioniert das?

Start-ups wie Lemonade versprechen eine Schadenabwicklung innerhalb von Sekunden – und lösen das für bestimmte Fälle auch ein. Allerdings haben diese Start-ups häufig nicht die beste Schaden-Kosten-Quote, werden aber sicherlich im Laufe der Zeit daraus lernen oder sich mit erfahrenen Versicherern zusammentun. Auf alle Fälle sind es ernst zu nehmende Disruptoren für bestimmte Kernprozesse, die die Erwartung der Verbraucher prägen. Denn wenn ich weiß, dass ein Anbieter mein Problem sofort löst, bin ich nicht bereit, bei einem etablierten Versicherer Tage oder Wochen zu warten. Die bessere Customer Experience bei der Schadenabwicklung ist entscheidend.

 

 

Dr. Andreas Becks (SAS) ist als Head of Business Analytics DACH bei SAS für die Beratung rund um die analytische Plattformen verantwortlich. Er leitet ein Team von Versicherungsexperten, Data-Governance-Experten und Datenwissenschaftlern, die Versicherungskunden beraten, wie sie mit Hilfe von Analysen Werte schaffen und die Transformation in einem sich wandelnden Markt vorantreiben können.